Meine Tageszeitung enthält in der Regel einen klassischen Fortsetzungsroman. Falls der mir gefällt, beginnt der Morgen mit meiner ganz persönlichen kleinen gedruckten Telenovela. Das Nette daran: Ich lese auch mal etwas, was im Buchladen vielleicht erst einmal liegen geblieben wäre. In der Regel von deutschen Autoren – das ist immer hilfreich für Sprachgefühl und Stil.
Mein letztes Fundstück war der Roman Geliebte Berthe von Inge Barth-Grözinger, eine berührende Geschichte um eine deutsch-französische Liebe, die diese Woche zu Ende ging.
Liebe zwischen allen Stühlen
Berthe heißt eigentlich Bertha und stammt von der Schwäbischen Alb. Ihren neuen Namen erhält sie von einem Romanistik-Professor, bei dem sie zur Zeit der Inflation nach dem 1. Weltkrieg ihre erste Stelle antritt, Französisch lernt und ihre Liebe zu dem Dichter Rimbaud entdeckt.
In Straßburg lernt sie einen jungen Drucker kennen, Armand, der aus dem südfranzösischen Ardèche-Städtchen Villeneuve stammt. Armands älterer Bruder ist im Krieg gefallen; Berthes Bruder hat als Soldat für Deutschland gekämpft. Gegen den erbitterten Widerstand von Armands Mutter heiraten die beiden, und Berthe erobert sich ihren Platz in der Heimat ihres Mannes – bis die deutsche Besatzung neue Wunden aufreißt und alte Vorurteile damit wieder hochkochen.
» … der Widerstand gegen das Böse darf nicht vom Hass geleitet werden, sondern von der Liebe. Dann erringen wir auch die Freiheit, die der Nährboden für alles ist… «
Jugendroman?
Geliebte Berthe ist 2012 bei Thienemann erschienen und wird unter anderem als Jugendbuch empfohlen. Allerdings umfasst das Buch mit zahlreichen Zeitsprüngen die ganze Spanne von einer eigensinnigen jungen Frau, die mit viel Mut für ihr Glück kämpft, bis zur gereiften Großmutter, die auf ihr Leben zurückblickt. Deshalb würde ich den Roman nur wirklich interessierten Jugendlichen (Mädchen!) oder einem älteren Publikum an Herz legen.
Es ist nun einmal kein Thriller und auch kein klassischer Liebesroman, sondern eine eher stille authentische Geschichte zum Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen, mit langem Atem und vielen kleinen (durchaus spannenden) Höhepunkten. Verfilmt könnte ich mir das Ganze als kleine Serie vorstellen, nicht als Spielfilm.
Die Autorin
Inge Barth-Grözinger (*1950) ist im Nordschwarzwald aufgewachsen und unterrichtet in Ellwangen Deutsch und Geschichte. Sie hat mehrere Romane über das frühe 20. Jahrhundert (u.a. Etwas bleibt, Beerensommer und Stachelbeerjahre) veröffentlicht, in denen sie sich kritisch mit der Zeitgeschichte auseinandersetzt.
Weil ich die ersten paar Folgen verpasst habe, muss ich das Buch jetzt doch noch kaufen. Als ebook für den nächsten Urlaub. Oder als gebundenes Exemplar, in dem ich ganz vorsichtig die ersten Kapitel nachlese, um es dann gleich zu verschenken. Lesenswerte Bücher müssen schließlich zirkulieren!
Fazit: Empfehlenswert für Frankreichfreunde, historisch Interessierte und alle, die in Mußestunden einem mit viel Liebe zum Detail geschriebenen Roman etwas abgewinnen können. Ein Buch, dem ich eine Übersetzung ins Französische wünsche!