Buchbranche im Homeoffice

Foto: Imke Brodersen

Dezember 2020. Normalerweise schicke ich im Advent dankbare Weihnachtsgrüße an die Lektoren und Lektorinnen meiner Verlage, gern mit einer persönlichen Bemerkung. Aber wie erreiche ich Sie dieses Jahr? Und wohin soll ich etwas schicken?

Die ausgefallene Buchmesse Leipzig war im März der erste harte Schnitt, die massiv gekappte Frankfurter Buchmesse im Oktober der zweite. Dort kann ich normalerweise Menschen persönlich begegnen, mit denen ich sonst nur maile oder telefoniere, ob Lektoren oder Kolleginnen. Ich liebe es, mich zwischen den Terminen treiben zu lassen, zu schauen, was andere Verlage machen, was im Ausland passiert, oder das eine oder andere Interview anzuhören.

Seit Jahrzehnten ist Frankfurt für mich gesetzt – und ebenso klar war stets, dass ich hinterher eine Woche fett erkältet zu Hause sitze. Das gehörte so selbstverständlich zur Buchmesse wie die überfüllten Züge und die langen Schlangen vor den duftenden Spezialitäten des Gastlands. Allerdings keineswegs für alle – seit der ersten SARS-Epidemie trugen Menschen aus Asien sicherheitshalber gern die typischen blau-weißen Masken. Was wir Europäer zur Kenntnis nahmen, ohne selbst mal auf die schlaue Idee zu kommen, dass die Übertragung von Atemwegserkrankungen auf Massenveranstaltungen vielleicht doch kein unabwendbares Schicksal sein muss, und somit auch selbst Maske zu tragen.

Büchermenschen im Homeoffice

Stattdessen sitze nun nicht nur ich im Heimbüro (das ist für selbstständige Literaturübersetzer normal), sondern praktisch alle, die nur irgend können (was von der Vernunft in der Branche zeugt). Das Gehirn ist zu mindestens einem Viertel damit blockiert, die jeweils neuesten Regeln zu verinnerlichen, und mit dem Rest der Kapazität bemühen wir uns, zwischen Videokonferenzen und Social Media konzentriert zu arbeiten, das Coronavirus-Update zu inhalieren (okay, das ist wohl eher mein Medizinübersetzerding) und den Kontakt zur realen Welt zu halten.

Kreative Buchbranche

Fasziniert habe ich registriert, wie zielstrebig „meine“ Verlage ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Sicherheit gebracht haben. Ich habe Instagram-Kanäle abonniert und konnte vor lauter „Muss-ich-sofort-lesen“-Neuerscheinungen – die meine kleine inhabergeführte Buchhandlung vor Ort direkt ins Haus liefert – natürlich wieder nicht den Stapel ungelesener Bücher abbauen. Mein Buchhändler hat sich selbst übertroffen mit intelligenten Marketing-Maßnahmen und exzellentem Kundenservice, und es waren Menschen wie er und seine Crew, die trotz aller ausgefallener Veranstaltungen die Buchbranche gerettet haben – so wie es Estelle Traxel und Andreas Meyer im Interview auf Buchmarkt.de beschreiben.

Aber eben nicht allein, sondern zusammen mit den kreativen, mutigen Verlagsmenschen hinter den Kulissen, die sich einfach nicht unterkriegen ließen. Zusammen mit denen, die stur vor sich hin schreiben, redigieren, setzen, grafisch aufbereiten, und all den anderen Selbstständigen, die voller Liebe am nächsten lesenswerten Buch arbeiten.

Ein dickes Dankeschön

All denen, die trotz aller Widrigkeiten beharrlich daran mitwirken, die mutige Entscheidungen treffen oder womöglich nachts arbeiten, weil tagsüber Kinder um sie herumwuseln (so wie es mir einst ging), möchte ich heute ausdrücklich danken. Nicht nur für die spannenden Aufträge, die ich in diesem Jahr bearbeiten durfte, sondern ganz besonders für

  • das nächste eindrucksvolle Cover,
  • jeden Fehler, der dank akribischer Redaktion aus dem Endmanuskript verschwunden ist,
  • jede Rückmeldung „Verstehe ich anders – können Sie das vielleicht noch umformulieren?“,
  • den nächsten Roman, in den ich lesend abtauchen darf,
  • die nächste Story, die mich zum Lachen bringt,
  • das nächste Sachbuch, das Fakten so aufbereitet, dass es auch jemand versteht, der in dem Thema weniger firm ist,
  • die Neuerscheinungen, die ich in die Weihnachtspäckchen packen durfte, weil mein Buchhändler sie auch ohne Buchmessen aufgestöbert hat,
  • das Durchforsten der Agenturvorschläge nach dem nächsten vielversprechenden Titel, der ins Programm passen könnte.

Ziehen wir uns also alle miteinander in die weihnachtliche Bücherschwemme zurück – das ist gerade genau das Richtige, um trotz aller Wünsche nach echten Begegnungen gut aufeinander zu achten und auch uns selbst etwas Gutes zu tun. Irgendwie schaffen wir es durch diesen Winter. Irgendwie werden wir gemeinsam Neues in Gang bringen und anschieben. Aber jetzt ist Zeit für eine Pause, und ich wünsche Ihnen, dass Sie dazu die nötige Muße finden.

 

Imke Brodersen

Ein Blog von Imke Brodersen über Bücher, Autoren und den Alltag einer Literaturübersetzerin. A German literary translator's blog on books, authors, and translating in general. By Imke Brodersen.

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