Von Termrecherche, Pfeffersorten und Weltpolitik

Ein Teil meiner Arbeit umfasst die Übersetzung von Rezepten, die ich häufig auch selbst nachkoche, um zu prüfen, ob sie tatsächlich funktionieren oder ob schwer erhältliche Zutaten aus fernen Ländern durch andere ersetzt werden könnten, die bei uns leichter zu bekommen sind. Manchmal holt einen mitten drin die harte Realität ein.

Heute stieß ich auf die Empfehlung, „Aleppo-Pfeffer“ zu verwenden. Gleich mal nachrecherchiert – okay, Aleppo-Pfeffer bezeichnet rote Pfefferflöckchen aus einer besonders würzigen Chilischote, die im Bereich der südlichen Türkei und Nordsyriens angebaut wird. Die Türken bezeichnen sie auch als „Pul Biber“.

Pfefferschoten für Selbstversorger

Chiliproduktion auf dem heimischen Balkon

Aleppo-Pfeffer hat eine eigene Fangemeinde. Und die registriert aktuelle Lieferengpässe aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien, der die dortige Produktion offenbar zum Erliegen gebracht hat beziehungsweise die Handelswege zerstört hat, sehr aufmerksam, wie dieser Beitrag im National Geographic, How the Syrian Conflict Affects Your Spice Rack, schildert.

Alternativen sind das türkische Gewürz „Hamas-Pfeffer“ oder beispielsweise eine Mischung aus vier Teilen Paprika edelsüß und einem Teil Cayennepfeffer (tolle Recherchequelle: The Cook’s Thesaurus). Ganz offensichtlich zählt Aleppo-Pfeffer also zu den eher milden Sorten. Die beste Alternative wäre zweifellos Frieden in Syrien -. aber das kann ich schlecht in meine Übersetzung schreiben.

Kalkulation nach Wortzahl?

Zur Frage der Kalkulation: Ich habe mich heute umfassend über diese eine Zutat informiert (hey, Finanzamt, dürfte ich meine Streifzüge über den Markt und die Küchenexperimente bitte zeitlich und kostenmäßig als „Fortbildung“ absetzen???). In Translation Memories sind das genau zwei Wörter (Aleppo pepper), die von Agenturen gern in Cent-Beträgen abgerechnet werden (oder als fester Bestandteil des Memories am liebsten unter den Tisch fallen). In den nächsten Tagen werde ich mit Gewürzen experimentieren, bis ich eine vernünftige, genießbare Alternative für mein Rezept habe.

Deshalb sind Abrechnungen auf Wortbasis nur dann eine vernünftige Kalkulationsgrundlage, wenn man sein Thema wie im Schlaf beherrscht. Und selbst dann sollte ein Übersetzer im Angebot sein über Jahrzehnte erarbeitetes Fachwissen einbeziehen, egal ob es um seltene Gewürze, pharmakologische Zusammenhänge oder Maschinenbauteile geht.

 

Imke Brodersen

Ein Blog von Imke Brodersen über Bücher, Autoren und den Alltag einer Literaturübersetzerin. A German literary translator's blog on books, authors, and translating in general. By Imke Brodersen.

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