Von Mitte November bis in die erste Dezemberwoche läuft in Karlsruhe die beliebte Karlsruher Bücherschau – ein Fest für Leser und Bücherstöberer mit zahlreichen Veranstaltungen und Lesungen rund ums Buch. 2012 besuchte ich unter anderem die rundum gelungene Lesung und Teeverkostung „Zum Tee mit Jane Austen“. Dieser Abend sowie eine englische Konversationsrunde, die sich unversehens zum Lesekreis entwickelte, brachten mich darauf, mal wieder einige englische Klassiker hervorzukramen.
Charlotte Brontë als Kindle-Fassung
Mit Jane Austen und George Eliot habe ich mich bereits gründlich beschäftigt, mit den drei Brontë-Schwestern aus dem englischen Yorkshire hingegen weniger. 1847 veröffentlichte die Pfarrerstochter Charlotte Brontë ihren Roman „Jane Eyre – eine Autobiographie“ unter ihrem männlichen Pseudonym Currer Bell. Die erste Übersetzung ins Deutsche erfolgte bereits 1848 durch Ernst Susemith.
Als Urlaubslektüre habe ich mir auf dem Kindle die lesefreundlich bearbeitete deutsche Originalausgabe von Reclam gegönnt (Leipzig 1918), die 2011 im Null Papier Verlag digital erschienen ist. Die Übersetzung aus dem Englischen stammt von Maria von Borch, die Bearbeitung ist von Jürgen Schulze. Die Klassiker im Null Papier Verlag werden zu unschlagbaren 99 Cent angeboten. Für diesen Preis erhält man eine behutsam modernisierte Fassung alter Übersetzungen, das heißt, die Rechtschreibung ist angepasst, und Optik, Interaktivität und Handhabung entsprechen dem modernen Medium.
Warum 2013 eine Übersetzung von 1918 lesen?
Das Reizvolle an der alten Übersetzung ist das Gefühl, der Welt des 19. Jahrhunderts ein Stückchen näher zu rücken. Die Sprache wirkt langsamer und bewusster als heute. Wendungen wie „Scharlachrote Draperien schlossen mir die Aussicht zur rechten Hand; (…)“, oder „Eine sonderbare Idee bemächtigte sich meiner“, klingen für heutige Ohren ungewohnt und haben heute allenfalls noch Raum in der gehobenen Literatur. Sie versetzen den Leser jedoch in eine wildromantische Atmosphäre, als würde man mitten in die Bilder von Caspar David Friedrich oder John Constable hineinspazieren.
Und warum überhaupt „Jane Eyre“ lesen?
Zeitlos erscheint der Freiheitsdrang der Heldin, die sich mit Ungerechtigkeit ebenso wenig abfinden mag wie mit Menschen, die zu wissen glauben, welche Stellung einem jeden gemäß seiner Herkunft und seines Einkommens im Leben gebührt. Bildung und Mobilität stellen Jane Eyres Fahrkarten in ein selbstbestimmtes Leben dar.
Gleichzeitig kämpft sie voller Leidenschaft um ihre Selbstachtung, um eine gewisse Selbstständigkeit als gebildete, berufstätige Frau, aber auch um das Recht, im Leben geliebt zu werden – dieses Recht fordert das Waisenkind Jane mit großer Vehemenz für sich ein. Mit sich und anderen ringt sie um die Freiheit, ihren eigenen Grundsätzen gemäß leben und lieben zu dürfen. Immer wieder bäumt sich Jane gegen selbst ernannte Beschützer auf, die zu wissen glauben, was für sie das Richtige ist. Unbeirrbar sucht sie ihren eigenen Weg, mal tastend, mal gut überlegt, mal überstürzt – Herz und Verstand wissen, wann sie einander den Vortritt zu geben haben. Das ist Emanzipation pur, Jahre vor den Suffragetten und höchst individuell.
Der Inhalt (ungeliebtes Waisenmädchen überlebt trotz mangelnder Fürsorge ihre kalte, karge Jugend, lernt im Internat genug, um als Gouvernante und Lehrerin auf eigenen Füßen zu stehen, verliebt sich und heiratet schließlich, obwohl sie weder besonders schön noch besonders reich ist, also nicht gerade eine gute Partie) tritt gegenüber den Bildern, den Denkanstößen und der romantischen Szenerie eher in den Hintergrund. Das Lesen war mir ein Genuss und hat mich in eine andere Zeit entführt.
Für Eilige auch in bildgewaltiger Verfilmung
Als Klassiker der englischen Literatur wurde „Jane Eyre“ bereits rund zwei Dutzend Mal verfilmt, zuletzt 2011 mit Mia Waikowska in der Hauptrolle. Eine wunderbare Kritik dazu schrieb Elmar Krekeler für Die Welt: „Der neue ‚Jane Eyre‘-Film ist eine Gothik-Romanze“. Wie schön, dass dank eBook-Fassung nun im Regal noch Platz für die DVD ist!
Fazit: Lesenswert insbesondere für Frauen, die mal etwas anderes wollen als Krimis und Bestseller. Wer keine Muße zum Lesen findet (schade!), kann auch den Film sehen.